Stadtteilzeitung Hildesheim West
Nr. 224 · Februar 2012
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Cadmium, Blei und Dioxin als Altlast

Schützenwiesen in Schuss bringen

(sbr) Die früheren Blau-Weiß-Sportplätze nördlich der Pappelallee, die ehemaligen Schützenwiesen, sollen „aufgewertet“ werden – so jedenfalls heißt die Umschreibung der Planer, die sich um die Bebauung des Geländes Gedanken machen. Erste Entwürfe für ein neues Wohnviertel zwischen Sporthalle und Paschenhalle werden demnächst den Ratsfraktionen vorgestellt.

Die Sportplätze gehören zum Umkreis des Phoenixgeländes, deshalb kann ihre „Entwicklung“ mit Mitteln des Förderprogramms „Stadtumbau West“ finanziert werden. Die Bebauung der Innersteaue im Bereich der Sportplätze mag Anwohner, ehemalige Sportler und Politiker bewegen – weitaus wichtiger als die Frage der Bebauung ist für den Stadtteil Moritzberg aber die Sanierung des Grund und Bodens, die Schaffung verträglicher Bodenverhältnisse in diesem Gelände.

Hochgradig blei-, cadmium- und dioxinbelastet – die Sportplätze an der Pappelallee (hier vor dem Abriss des Klubhauses im Juni 2011) können mit Hilfe der Stadtumbau-Fördermittel vom Industrie-Giftmüll befreit werden
Sabine Brand, April 2011

Altlastenentfernung, Müllentsorgung – das ist die wichtigste und auch teuerste Vorbedingung für die Aufwertung der Sportplätze. Sie sind durch äußerst schädliche Stoffe aus zwei Quellen schwer belastet.

Ein Teil der Schadstoffe im Boden der Sportplätze, der angrenzenden Wiesen und des gesamten Innersteaue-Gebietes vom Hohnsen bis nach Himmelsthür stammt aus dem Bergbau im Harz. Jahrhundertelang wurden durch die Aufbereitung der geförderten Erze Rückstände produziert, die als „Pochsande“ die Innerste hinabgespült und bei den alljährlichen Überschwemmungen in den Wiesen den Fluss entlang abgelagert wurden. Die Pochsande sind stark blei- und cadmiumhaltig. Zwar entstehen sie nicht mehr neu, aber die Rückstände aus dem Bergbau sind langlebig und haben eine nachhaltige Vergiftung der Böden hinterlassen. In der Hildesheimer Innersteaue treten Blei und Cadmium in Konzentrationen auf, die zum Teil weit über den gesetzlich festgelegten Grenzwerten liegen. Wo im 18. und 19. Jahrhundert das Vieh nach Beweidung der Innerstewiesen oft zugrunde ging, sollten auch im 21. Jahrhundert keine Gemüsebeete angelegt werden. Der Aktionsplan der Stadt Hildesheim von 2006 empfiehlt, keinesfalls häufig verwendete Grundnahrungsmittel wie Kartoffeln und Gemüse von diesen Böden zu ernten, höchstens „in begrenztem Umfang Küchenkräuter, Steinobst, Äpfel und Birnen“ (siehe: „Ab und an Erdbeeren“, in: Moritz vom Berge November 2006).

Die zweite Giftquelle, die speziell die stark beanspruchten Flächen der Sportplätze an der Pappelallee – wie auch Hunderte von Sportplätzen bundesweit – verseuchte, stammt ebenfalls aus industrieller Produktion, die aber erst einige Jahrzehnte alt ist. Aus Rückständen der Kupfergewinnung im zweiten Weltkrieg hatte die Firma „Balsam AG“, Sportanlagenbau, die Schlacke „Kieselrot“ herstellen lassen und seit den 1950er Jahren als roten Belag für Laufbahnen, Sport- und Tennisplätze verkauft. „Kieselrot“ enthält enorm hohe Konzentrationen des beim Chemieunfall in Seveso bekannt gewordenen Giftes Dioxin, dies entsteht vor allem durch Verbrennung. In Hannover waren über 20 Sportplätze betroffen, in Hildesheim durch „Sanierung“ und Umbau in 1965 nur einer: der Rex-Brauns-Platz an der Pappelallee – dieser aber mit Werten, die zu den höchsten in Niedersachsen gemessenen gehören: bis 62.000 Nanogramm. Schon ein Wert von 100 Nanogramm galt Anfang der 1990er Jahre als zu hoch für Kinderspielplätze (siehe: Wie die Faust aufs Auge, in: Moritz vom Berge Juli/August 1991).

Ein paar Monate lang waren nach den Untersuchungsbefunden in 1991 die Sportplätze Pappelallee gesperrt, dann gab der Oberstadtdirektor die Bahnen wieder frei – auf eigenes Risiko der Sportler. Sie (bzw. ihre Eltern) mussten unterschreiben, dass sie in Zukunft keine Haftungsansprüche an die Stadt wegen möglicher Gesundheitsschäden durch das Dioxin stellen würden. Für den Schulsport blieb der Platz geschlossen, die Sportler der DJK Blau-Weiß nutzten ihn – und wiesen damals, 1991, empört von sich, den Sportverein auf einen neuen Platz umziehen zu lassen.

300.000 DM wurden in 1991 für das „Auskoffern“, das Abtragen der verseuchten Beläge angesetzt, für deren anschließende Verbrennung noch einmal 700.000 DM. Das Umweltministerium in Hannover mit Ministerin Monika Griefahn empfahl wegen der hohen Kosten die Abtragung und Zwischenlagerung in Containern. Die Firma „Balsam AG“ wollte noch einmal verdienen und bot an, für etwa 200.000 DM die Lauf- und Sprungbahnen auf dem Sportplatz mit Kunststoff zu versiegeln, damit das Dioxin nicht mehr ausstauben könne (siehe: „Balsam“ für die Aschenbahn, in: Moritz vom Berge März 1992). Die westfälische Firma ging Mitte 1994 in Konkurs; wegen Bilanzverschleppung und Betrug in Milliardenhöhe machte sie noch mehrere Jahre lang Schlagzeilen (siehe: Sportplätze Pappelallee geschlossen, in: Moritz vom Berge April 2009).

1997 wurde der nördliche Hartplatz der Sportanlage für 135.000 DM mit einer acht bis zehn Zentimeter Schutzschicht abgedeckt, doch ein von der Stadt Hildesheim in Auftrag gegebenes Gutachten ermittelte 2008/2009 wieder hohe Belastungswerte – auch für die Schutzschicht. Die Laufbahn war, nachdem sie anfangs berieselt worden war und auf einem Holzsteg überquert werden musste, ohne weitere Maßnahmen offen belassen worden. Laut Angaben der HiAZ vom 21.6.1991 waren die gemessenen Werte auf der Laufbahn aber noch um 10.000 Nanogramm höher als auf dem Hartplatz (siehe: Hartplatz saniert – was wird aus der Laufbahn? in: Moritz vom Berge Juli 1997). Seit Ende der 1990er Jahre scheint auf dem Rex-Brauns-Platz auch wieder Schulsport stattgefunden zu haben. Die Stadt Hildesheim wartete Jahr um Jahr ab; Blau-Weiß versuchte, sich selbst zu helfen, indem es die Gefahr herunterspielte.

Anfang 2009, nach Bekanntwerden des neuen Bodengutachtens innerhalb der städtischen Gremien – nach Außen drangen die ermittelten Werte nie! – schloss Stadtbaurat Dr. Brummer die Sportplätze. Blau-Weiß freundete sich mit einem Umzug an und akzeptierte den ehemaligen Gehörlosen-Sportplatz (früher MTV v. 1848) an der Lucienvörder Allee. Die Abtragung der belasteten Sportplatzflächen an der Pappelallee mit Mitteln aus dem „Konjunkturpaket II“ war in 2009 in Planung, unterblieb dann aber. Nun bietet der „Stadtumbau West“ eine einmalige Chance zur Entfernung der Altlasten, das Förderprogramm läuft auf zehn Jahre – zur Zeit ist Halbzeit.

Die Stadtumbau-Planer setzen eine hohe Dringlichkeitkeit an für die „städtebauliche Neuordnung des Gebietes nördlich der Pappelallee“. Unabhängig von der zukünftigen Nutzung „ist es für die Entwicklung des Areals notwendig, die vorhandenen Böden (Kieselrot u.a.) zu entfernen, um die Flächen wieder nutzbar zu machen“ (Fortschreibung des ISEK Moritzberg 2011, Stadtplanungsamt Hildesheim). Dafür ist eine Entwicklungsstudie erstellt, nach deren Beschluss folgt ein Altlastengutachten, dann die Entfernung der Altlasten. – Der Stadtteil wird es den Planern und den politisch Verantwortlichen danken.

Der nächste Schritt, die Wiedernutzung der von Altlasten befreiten Schützenwiesen, lässt verschiedene Möglichkeiten oder „Entwicklungspfade“ zu. Die Errichtung eines Wohnviertels ist eine davon und müsste den besonderen Bedingungen der Innersteaue Rechnung tragen: Ein „Jahrhunderthochwasser“ kann durchaus auch der Kupferstrang, der Unterlauf des Trillkebachs aus dem Hildesheimer Wald, bieten.

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