Stadtteilzeitung Hildesheim West
Nr. 237 · April 2013
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Moritzberg Verlag
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Bäckerei Krone

Pflegevertrag für Schindler?

(sbr) In Christian Prenzlers Werkstatt am Nordfriedhof steht ein Denkmal aus Sandstein: 1,90 Meter hoch, 1.200 Kilogramm schwer, 10.000 Euro wert. Der schwere Brocken ehrt Oskar Schindler, den Fabrikanten, der 1200 seiner
Schindler
Das Denkmal für Oskar Schindler könnte an der Alfelder Straße stehen – zur Pflege bräuchte es alle paar Jahre etwas Wasser und Seife.
Foto: Christian Prenzler
jüdischen Mitarbeiter vor der Ermordung bewahrte. Schindler wohnte in seinen letzten Lebensjahren zeitweise bei einer Freundin in der Hildesheimer Göttingstraße, 1974 starb er im Bernward-Krankenhaus. Bekannt wurde seine Lebensgeschichte erst 1993 mit Steven Spielbergs Film „Schindlers Liste“.

Prenzler hat das Oskar-Schindler-Denkmal für die Öffentlichkeit gedacht. Er würde es der Stadt schenken, wenn ihm die Kosten für Fundamentierung und Aufstellung erstattet werden. Auch einen Platz für das Denkmal hat er gefunden – Ingrid Pflaumann, die Autorin eines Buches über das Steinbergviertel, hat ihn vorgeschlagen: Eine kleine Grünfläche an der Alfelderstraße, Bushaltestelle Matthiaswiese, wo Hachmeisterstraße und Matthiaswiese enden, bietet Platz und einen räumlichen Bezug. Wenn Schindler in Hildesheim war, wohnte er gleich um die Ecke. Prenzler stellt sich das Denkmal unter einer Kiefer in dem grünen Dreieck vor, drum herum würde er eine kleine Fläche pflastern, damit man herantreten und die Inschrift lesen kann.

Erfreut hatte sich der Ortsrat Moritzberg/Bockfeld auf seiner Sitzung im Februar mit Prenzlers Angebot beschäftigt. Die Stadt Hildesheim wurde gebeten zu
Kugeln

Christian Prenzler 2004 beim Aufbau eines Denkmals in der Dingworthstraße – ursprünglich standen die „Moritzkugeln“ für süße „Wurfgeschosse auf Stadtväter“.
Fotos (3): sbr
prüfen, ob der vorgeschlagene Platz geeignet wäre. Die kritische Anmerkung einer städtischen Mitarbeiterin und der nachfolgende Artikel in der Hildesheimer Allgemeinen Zeitung ließen das Vorhaben kompliziert erscheinen: Von den Folgekosten solch einer Schenkung, von Verpflichtungserklärung zur Pflege und Übernahme einer Patenschaft war die Rede.

Ein kurzer Überblick soll deshalb im Folgenden beleuchten, wie in der Vergangenheit am Moritzberg solche Probleme gelöst wurden. Immerhin sind seit 1996 eine ganze Reihe kleiner Bauwerke – Brunnen, Denkmäler, Bänke – von engagierten Anwohnern im öffentlichen Raum aufgestellt und der Stadt geschenkt worden. Die Schenkung erfolgte in jedem Fall aus versicherungsrechtlichen Gründen, nicht wegen der Pflege.

1996 wurde der Entenbrunnen im Bergholz aufgebaut. Edeltrud Kreisch hatte dafür gesammelt und getrommelt, ein Moritzberger Stammtisch baute ihn mit Dirk Kehe auf, Erika Kaufmann schuf die Enten aus Bronze. Die Stadt übernahm die Entwässerung, nahm dem bis dahin umhegten Platz im Grünen durch Baum- und Buschrodungen aber auch seinen Charme. Die „Väter“ und „Mütter“ des Brunnenbaus und die Mitglieder des Stammtischs säuberten in den Folgejahren viele Male den Brunnen, legten den verstopften Abfluss frei, machten sich Gedanken um konstruktive Mängel. Im Herbst 2012 wurde das Mauerwerk neu verfugt. Zu diesen Arbeiten hatte sich niemand verpflichtet. Seit die Bronzeenten gestohlen sind, werden Ideen zur ihrer Neuerstellung ausgetauscht.

1998 entstand der Bergbrunnen vor der Gelben Schule. Seine Konzipierung war schwieriger als der Nachbau des traditionellen Entenbrunnens, hier waren die Kunstkommission und Stadtbaurat Klein-Knott beteiligt.
Entenbrunnen

Einmal abgesprochen und stillschweigend fortgeführt – seit 17 Jahren kümmern sich Anwohner um die Instandhaltung der Bergbrunnenpumpe (hier ist sie abgebaut)
Die Brunnenanlage war das Werk von Steinmetz Prenzler, die Sitzbank davor wurde von Handwerkern aus der Nachbarschaft gebaut. Die Stadt Hildesheim übernahm die Pflasterung des kultigen kleinen Platzes an der Bergstraße und sorgte für eine simple, kostengünstige Abwasserlösung. Seither wird die Brunnenanlage von handwerklich befähigten Nachbarn oder Mitgliedern des Moritzberger Kulturvereins gewartet – ein aufwändiges Unternehmen durch den hohen Verschleiß, den der rege Betrieb der Pumpe durch die Schulkinder mit sich bringt. Zweimal wurde durch Sammlung unter den Anwohnern eine neue Pumpe finanziert  und eingebaut. Regelmäßig im Herbst wird sie bei Frostgefahr stillgelegt oder abgebaut und im Frühjahr wieder in Schwung gebracht – ohne Verträge, ohne Patenschaften, stillschweigend. Die städtischen Werkstätten haben im Lauf der Jahre mehrfach die Bänke am Bergbrunnen repariert – sorgfältig, passend und gleichfalls ohne Aufsehen.

Bankreparaturen waren später auch am 2002 errichteten Windthorst-Denkmal an der Berg-Apotheke notwendig.
Windhorst

Ludwig Windthorst als Schutzgeist für das Streben nach Selbstverwaltung – er braucht wenig Pflege, denn er wird respektiert.
Auch dieses Denkmal entstand durch eine Anwohnerinitiative in Zusammenarbeit mit der Stadt. Der Gedenkstein ist von Christian Prenzler gestaltet, die Bank von Moritzberger Handwerkern – bis heute der beliebteste öffentliche Sitzplatz am Berg. Folge- oder Pflegekosten? Im tiefen Winter erhielt Dr. Ludwig Windthorst eine Pudelmütze auf den Kopf, zum zweihundertsten Geburtstag einen Buchsbaumkranz und weiße Rosen. Christian Prenzler hat ihn im letzten Herbst mit Bürste und Seifenwasser gründlich gesäubert.

Quer über die Kreuzung am Anfang der Dingworthstraße steht das Moritzkugel-Denkmal. Es wurde von Prenzler zur Erinnerung an die Blütezeit der Bürgerinitiativen geschaffen, in Berlin als Grabstein für Lebende ausgezeichnet und dann der Stadt geschenkt. Es sollte der Auftakt für eine einfallsreiche „Möblierung“ der Dingworthstraße sein, blieb aber bislang vereinzelt.

Folgekosten? Auch hier war Prenzler kürzlich mit Wasser und Bürste tätig.

Diese Auflistung legt nahe: Zumindest am Moritzberg ist das Interesse an der Gestaltung des öffentlichen Raums lebendig – auch ohne Verträge, Patenschaften und Organisationsrahmen für ehrenamtliche Arbeit. „Ist ja für uns“, war bisher die Begründung für den stillschweigenden Einsatz. Die Belohnung lag im gemeinsamen Entscheiden und Handeln, in dem kleinen Stolz, selbstbestimmt etwas für alle geschaffen zu haben – in dem erkämpften Freiraum, der gemeinsam gefundenen Identität. Das alles geht auch mit verpflichtendem Pflegevertrag, mit offizieller Patenschaft – aber durch die Formalitäten bleibt die Unmittelbarkeit und die Selbstverständlichkeit des Engagements auf der Strecke, geht die Freude am eigenverantwortlichen Tun eher unter. Es heißt dann nicht mehr: „Ist doch für uns“, sondern „Das ist für die Stadt“.
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