Grün bleibt Grün?
(sbr) Es tut sich viel in den Grünanlagen der Stadt. Bäume wurden gefällt wie schon seit Jahren nicht, Hecken gerodet, Grünstreifen vom Gebüsch befreit, Rosenbeete beseitigt. Vor allem zwei Gründe werden dafür genannt: Die Stadt hat die über Jahrzehnte eingesetzten privaten Firmen abgelöst und wieder die Grünpflege in ihren Anlagen übernommen. Und: Die Stadt hat kein Geld.
„Die Qualität der Grünflächen ist nun mal abhängig vom Budget“, erklärt Heinz Habenicht, Leiter des Fachbereichs Grün, Straße und Vermessung. „Ungepflegte Rosenbeete sehen weitaus schlimmer aus als keine“ – die traditionellen Rosenpflanzungen in der Mittelallee wurden deshalb im letzten Herbst entfernt. Dort wird Rasen eingesät. Nur auf den Hochbeeten im Bereich der Kreuzungen mit den Querstraßen Karthäuser- und Bischof-Gerhard-Straße sollen weiterhin Rosen die „Farbtupfer“ setzen. „Das Ende war vorprogrammiert“, sagt Habenicht. „Der Boden ist verbraucht, er hätte ersetzt werden müssen, um neuen Rosenpflanzungen eine Chance zu geben – und das ist teuer.“

Der Charme der sechziger Jahre ist dahin: Die Blickachse vom Berghölzchen auf die Stadt war über Jahrzehnte geprägt von gepflegten rot blühenden Rosen in der ganzen Länge der Mittelallee. Soll man traurig sein über den Verlust? – Jede Zeit hat ihre Modeerscheinungen. In der Mittelallee haben die Mitte der neunziger Jahre gepflanzten Bäume nun die Gestaltung übernommen. Zuletzt hatten sie noch Überlebensinseln für die kümmerlichen Rosenreste geboten: Die gediehen im Schatten der kleinen Baumkronen deutlich besser als in den Trockenstreifen dazwischen.
Mit einer anderen „Modeerscheinung“ kämpfen die Mitarbeiter der städtischen Werkstätten seit letztem Sommer mit hohem Einsatz – ein Ende ist noch nicht abzusehen: Vor 20 und 30 Jahren, so Habenicht, wurde bei der Anlage neuer breiter Verkehrswege üppiges straßenbegleitgrün eingeplant. Rand- und Mittelstreifen viel befahrener Straße wurden bepflanzt mit Sträuchern, die regelmäßig geschnitten werden müssen, denn sonst verkratzen sie die Fahrzeuge und behindern die Sicht. Diese Art der Gestaltung zum Beispiel am Hansering in Itzum, an der Himmelsthürer Straße und am unteren Gallbergstieg sollte das Kleinklima an den Hauptverkehrsstraßen verbessern und die Folgen der Motorisierung, Lärm, Abgase und Gefährdung von Leib und Leben der Passanten und Anwohner mildern.

Man pflanzte dicht – sehr viele Büsche, unter anderem den Feuerdorn. Er wächst schnell und er hat Dorne, die empfindlich stechen. Durch den häufigen maschinellen Schnitt – alles auf eine Höhe gestutzt – wird dies Buschwerk eine verfilzte, undurchdringliche Hecke, wenn es in die Jahre kommt. Auch hier hat die Verwaltung entschieden: Besser entfernen als weiterhin teuer pflegen und dann noch für Schäden durch Stacheln und Dornen haften. Die städtischen Mitarbeiter kommen daher mit schwerem Gerät und räumen ab – alles weg. Im günstigen Fall wird Rasen eingesät, im ungünstigen bleibt verwüstete festgefahrene Landschaft zurück.
Die Anwohner sind entsetzt, traurig – und wehren sich zunehmends. Ihr Wohnumfeld wird öde, das Kleinklima schlechter und die Vielfalt der Pflanzen und Tiere, die sich hier einen Lebensraum erobert haben, schwindet sofort. Anders als die Zeitzeichen der sechziger Jahre, die Rosenbeete und der penibel geschnittene Scherrasen, sind die Buschpflanzungen der achtziger Jahre nicht nur von ästhetischem Wert, sondern auch von gewisser Bedeutung für den Naturhaushalt in der Großstadt.

Empört sind viele Hildesheimer Bürger darüber, dass die Verwaltung offensichtlich nach Plan handelt, dies aber im Herbst und Winter 2011 immer wieder abgestritten hat. Nach den Wahlen im September 2011 wurden Ortsräte in allen Stadtteilen eingeführt – aber auch sie stehen ratlos vor den Scherben: tagtäglich Beschwerden von Bürgern über abgeräumte Beete und ausgerissenen Hecken, keine klare Regelung, wie denn der Ortsrat hier zu beteiligen ist. Zur Zeit wird er nur informiert über das Fällen von Bäumen – das heißt, er darf die Fälllisten zur Kenntnis nehmen, nicht darüber entscheiden. Anscheinend versucht die Verwaltung gar die Ortsräte zu nutzen, um ihre Maßnahmen dem Bürger näher zu bringen. Wo Pläne nicht offengelegt, also auch nicht zur Diskussion gestellt werden, wo der Bürger keine Chance hat, über sein unmittelbares Umfeld mitzuentscheiden, da braucht man Vermittler – kommunikative Schlichter, die Proteste entschärfen und den Bürgern die Eingriffe in die Grüngestaltung verklickern.
„Diese Maßnahmen sind Tagesgeschäft“, sagt Heinz Habenicht. „Da muss ich niemanden fragen. Das ist nur bei grundsätzlichen Veränderungen nötig.“ Die Gegenfrage: „Was ist grundsätzlich, Herr Habenicht? Zählt die Rasenfläche genauso als Grünfläche wie ein Park?“ „Genau so ist es“, bestätigt der Vorgesetzte von Tiefbau und Grünplanung, „Grün ist Grün“. Der Stadtrat muss anscheinend erst eingeschaltet werden, wenn eine Grünfläche aufgehoben wird, wenn ein planerischer Einschnitt erfolgt. – Unter dem Kostendruck des „Tagesgeschäfts“ in der Grünpflege sind Fragen der Umweltverträglichkeit, des Naturhaushalts und des Landschaftsbilds dem Ermessen der Verwaltung überlassen.
Die Stadt pflegt wieder selbst und die Stadt hat kein Geld – das sind die zwei bekannten Gründe für den Zustand der öffentlichen Grünflächen in Hildesheim. Dass die Stadt wieder selbst pflegt, muss nicht von Nachteil sein. Die in der Vergangenheit eingesetzten Privatfirmen sind zum guten Teil verantwortlich für die Schäden, die von den städtischen Mitarbeitern jetzt geglättet werden sollen. Noch ein dritter Grund für das Dilemma in der Grünpflege deutet sich im Hintergrund an, beim Blick hinter die Kulissen – dafür zwei Beispiele:
Im Mai 1992 wurden erste Rosen an einer Hauswand in der Dingworthstraße gepflanzt. Dafür nahm die Eigentümerin einzelne Gehwegplatten, 30 mal 30, hoch und setzte die Pflanzen in das Loch. Das Gartenamt ermutigte solche Pflanzaktionen: Ohne Genehmigungsverfahren durften Hausbesitzer ihre Fassaden begrünen – Hildesheim sollte schöner werden. Die Rosen von damals sind heute noch Prachtexemplare.
Im Januar 2012 monierte die städtische straßenunterhaltung, dass in der Bergstraße halbe Gehwegplatten aufgenommen wurden, um an der Hauswand zu pflanzen. Die „Verkehrswegesicherheit“ sei dadurch nicht mehr gewährleistet. Eine Nachfrage im Fachbereich Grün, Straße und Vermessung ergab: Von der unbürokratischen Regelung der neunziger Jahre wusste angeblich niemand – die Mitarbeiter von damals sind nicht mehr im Amt. Die Nachfrage in der „Grünplanungsabteilung“ – dem früheren Gartenamt – löste eine interessierte Rückfrage aus: „Wohnen Sie im Sanierungsgebiet? Dann könnte die Begrünung Ihrer Fassade mit öffentlichen Mitteln gefördert werden.“ Nein – das Sanierungsgebiet fängt erst um die Ecke an. Was dort Verschönerung ist, gilt hier als Gefährdung.
Ein zweiter denkwürdiger Fall im Herbst 2011: Im Godehardikamp, Neubaugebiet der siebziger Jahre, werden viele Quadratmeter Grünfläche von hohen Büschen und niedrigem Buschwerk befreit. „Unser Chef?“, antworten die städtischen Mitarbeiter im Außeneinsatz auf hartnäckige Fragen, „unser Chef sitzt nicht im Gartenamt, sondern im Tiefbauamt. Das Gartenamt hat mit unserem Einsatz nichts zu tun – die planen nur noch am Schreibtisch, für neue Spielplatzanlagen.“ Zwischen diesen Planern und den Mitarbeitern im Außendienst ist anscheinend kaum Kontakt – vielleicht zweimal im Jahr.
Beiden Fällen gemeinsam ist das widersprüchliche Vorgehen der Verwaltung, etwas überspitzt auf den Punkt gebracht: Das Gartenamt plant die Begrünung, die Tiefbauer baggern sie wieder aus – ohne sich zu verständigen. Verschiedene Abteilungen einer Verwaltung arbeiten gegeneinander, vielleicht ohne es zu merken. Das Forschen nach den Ursachen dafür führt immer wieder auf einen bestimmten Zeitpunkt zurück, an einen entscheidenden Bruch: „Vor“ und „nach der Umstrukturierung“ ist eine Zeitangabe, die dem Eingeweihten anscheinend alles erklärt – dem Bürger nichts. Das Gartenamt ist ein Teil des Tiefbauamtes? Die Kommunikation zwischen verschiedenen Abteilungen, die mit derselben Angelegenheit befasst sind, ist auf dem Tiefpunkt? Hier fehlt ein Vermittler innerhalb der Verwaltung – einer der dem einen Sachbearbeiter die Perspektive des anderen vermitteln kann und dadurch die gemeinsame Problemlösung ermöglicht. Vielleicht helfen die Proteste der betroffenen Bürger, die Kommunikation innerhalb der Verwaltung zu verbessern – vielleicht macht man aber auch die Schotten dicht. Immerhin gibt es in Hildesheim so etwas wie einen Maulkorberlass.
Moritzberg unter neuer Führung