„Pott”-Rodelbahn
Das herrliche Winterwetter, das uns überreichlich mit Frost und Schneefall beglückte, hatte sofort auch die großen und kleinen Rodler hinausgelockt; und schon begann in den abschüssigen Straßen unserer Stadt der Sport. Nicht so ungefährlich und einwandfrei ist dieses Vergnügen für die Nichtbeteiligten, die Vorübergehenden: und besonders die älteren unter ihnen trippeln ängstlich auf den geglätteten Wegen.
Die Höhe dieser Winterlust erlebte ich in einem Kriegswinter, als ich mit meinen lieben Kindern des Kriegskinderhortes in den Wald, ins Berghölzchen ging, dorthin, wo der Weg sanft ansteigt hinter dem Wirtschaftsgebäude.
Schon auf dem Wege dahin hatten die Kinder mir übereifrig erzählt von der „Pott“-Rodelbahn mit ihrem besonderen Zauber, und ich suchte mir von ihr ein Bild zu machen oder den Namen zu erklären. Vielleicht kam die Benennung vom „Potte“ oder von „Potthilmsen“, wie man unsere liebe Stadt dann und wann nennen hört. Nun, ich wollte nur gelassen diese seltsame Rodelbahn, die gewiß eine Überraschung für mich war, an mich herankommen lassen. Nein, gewiß nicht, sie wäre nicht wie jede andere Rodelbahn. Wir gingen immer schneller, je näher wir dem geheimnisvollen Orte kamen. Die Kinder erhielten nun Freiheit, aus der Reihe zu treten und sich zu tummeln. Da stoben sie auch schon, kaum, daß ich folgen konnte, auseinander. Sie verschwanden, wie die kleinen Kobolde, in dem sehr tiefen, aber trockenen Graben, der unten am Fuße des Bergholzes, zwischen Rottsberglandstraße und Bergwald sich hinzieht. Er scheint an einer Stelle der Ablagerungsplatz für invalide Kochtöpfe, abständige Pfannen und Scherben zu sein.
Nach kurzem Verschwinden krabbelten meine Kleinen mit hochroten Bäckchen, vor Anstrengung und Eifer keuchend, zu mir wieder herauf, hochbeglückt: „Fräulein, Fräulein!“ rufend und ein „Etwas“ heranschleppend. Jedes Kind hatte sich mit einem der alten Kochtöpfe versehen, der einen, wenn auch noch so unbequemen Sitzplatz für das Rodeln abgeben sollte – daher die „Pott“-Rodelbahn!
Und nun ging der Spaß los. Ich stand geschützt hinter einem der hohen Bäume, die auch den Weg begrenzen. Auf diesem senkte sich die Rodelbahn glatt und einladend sanft den Berg hinab.
Ich mußte herzhaft lachen, denn der Anblick war unbezahlbar, wenn eines der Kleinen auf einer Bratenpfanne, einem Blechteller, der den Hosenboden schonen sollte, oder auf sonst einem ganz unmöglichen und dazu verbeulten Topfe rodelnd und jubelnd an mir vorbeisauste. Ein „Umfall“ wurde nicht geachtet; ging es doch in den weichen Schnee. Lachend stand man wieder auf.
Die Eltern der Kinder hätte ich herbeizaubern mögen zu dieser köstlichen Rodelpartie – auch jeden Griesgram unserer Stadt. Es wäre ganz gewiß ein Funken seliger Jugendzeit von den unschuldigen Kinderseelchen auch auf sie übergesprungen.
Ich sonnte mich recht in dem jauchzenden Glücke meiner kleinen Schar, richtete hier einen Teilnehmer auf, der dem auf abschüssiger Bahn entgleitenden Topf lachend nachfolgen wollte, und hatte danach ein paar blaugefrorene Händchen in meinem alten Muff zu erwärmen, welcher allen Kinderhänden offenstand als diensteifriger Familienmuff und als einzige „Wärmestube“ am Orte.
Die „Pott“-Rodelbahn machte den Kindern ungeheuren Spaß, und sie wußten es zum Teil selbst nicht, wie urkomisch sie auf ihren dahersausenden Töpfen aussahen. Wenn die Kleinen am Ende der Rodelbahn angelangt waren, mußten sie selbst ihre „Invaliden“ und verschiedenen „Fahrgelegenheiten“ wieder auf die Höhe holen.
Als wir endlich nach mancher erbettelten Zugabetour im Dämmern des Winterabends wieder heimkehren wollten, mußten die Kinder ihre Töpfe in die „Geschirrkammer“, die Grube am Bergeshange, wieder zurückwerfen für späteren Bedarf – aber er kam nicht wieder.
Dieser selige Nachmittag voll jauchzenden Kinderglückes und voll inbrünstigen Kinderspieles wird mir unvergeßlich bleiben, wie der Kriegskinderhort.
Aus: „Moritzberger Heimatbote“, herausgegeben von der NSDAP, Ortsgruppe Hildesheim-Moritzberg; Folge 12, Dezember 1940.
Laut Anmerkung der Herausgeber des „Heimatboten“ schrieb Elsbeth Düker, Jahrgang 1865, diese Geschichte im Weltkrieg 1914 – 18.
Anmerkung der Herausgeberin des „Moritz“: Die Pottrodelbahn ist die steile Abfahrt vom Kamm des Bergholzes hinunter an den Moritzberger Weg, Ecke Am Propsteihof/Wolfstieg
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