Stadtteilzeitung Hildesheim West
Nr. 178 · November 2007

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Pecunia – Versuch einer politischen Bewertung

Nur starker Bürgerwille kann Abwahl des OB bewirken

Die verdeckte Spende im zeitlichen Zusammenhang mit dem Verkauf von Anteilen der Stadtwerketochter EVI wertete die FDP-­Fraktion vor 5 ½ Jahren als schweren Vertrauensbruch durch nicht tolerierbare Eigenmächtigkeiten und zog unmittelbar die Konsequenz: Rücktritt des Oberbürgermeisters oder Verlassen der Mehrheitsgruppe, die den Oberbürgermeister gestützt hatte. Nachdem die FDP die Mehrheitsgruppe verlassen hatte, veranlassten nicht bessere Einsicht, sondern drohender Machtverlust und die herannahende Landtagswahl den Fraktionschef der CDU, gegen den eigenen OB einen Abwahlantrag im Rat zu stellen. Er fand eine entsprechende Zweidrittel-­Mehrheit.

Der Rat versuchte, eine Aufklärung der Zusammenhänge durch eine Untersuchungskommission zu erreichen. Unmittelbar nach deren Einsetzen beschlagnahmte die Staatsanwaltschaft sämtliche Unterlagen. Somit reduzierte sich die Tätigkeit der Kommission auf das Zusammentragen bekannter Fakten, da es keine einem Untersuchungsausschuss im Landtag vergleichbare gesetzliche Grundlage für ihre Arbeit gab und bis heute gibt.

Foto: FDP Hildesheim
Das Urteil über den Hildesheimer Oberbürgermeister ist Mitte Oktober rechtskräftig geworden. Damit ist Machens vorbestraft. Nach dem Versagen der Politik im Pecunia-­Fall wünscht sich Dr. Martin Gottschlich, Moritzberger Ratsherr und FPD-­Fraktionschef, eine Einmischung „von der Straße”.

Eine politische Würdigung war damit bis zum Abschluss des gerichtlichen Verfahrens nicht möglich und wegen des schwebenden Verfahrens auch nicht geboten. Drei Gerichte haben nunmehr abschließend eine rechtliche Würdigung gegeben. Der heute hauptamtliche OB hat sich der vorsätzlichen Untreue strafbar gemacht und ist zu sechs Monaten Gefängnis verurteilt worden.

Im Laufe der Gerichtsverhandlungen kam übrigens eine auch dem Rat nicht bekannte Tatsache an die Öffentlichkeit: Die Käufer und Spender waren eigentlich schon aus dem Verfahren ausgeschieden, da deren Angebot zehn Mio. DM unter dem besten Angebot lag. Da drängen sich unangenehme Gedanken einfach auf. Für die vorsätzlich begangene Tat gibt es keine Entschuldigung, der Oberbürgermeister ist persönlich und vor allem allein dafür verantwortlich; mit dieser Beurteilung wird er leben müssen.

Neben der rechtlichen Frage muss für politisch denkende Menschen auch eine politische Einschätzung abgegeben werden. Es trifft nicht zu, dass die Menschen, die Kurt Machens ins hauptamtliche Amt gewählt haben, davon ausgehen mussten, dass sie einen potentiellen Straftäter wählen würden. Durch die Berichterstattung der Presse und Wahlwerbung war suggeriert worden, er sei durch das – rechtlich völlig unqualifizierte – Urteil des Landgerichts Hildesheim freigesprochen und somit unschuldig. Die Bürger dieser Stadt und auch der Rat werden sich nun mit dieser Situation arrangieren müssen, denn ein ewig dauernder Streit würde letztlich der Stadt noch mehr schaden. Einzig ein sehr starker Wunsch, der aus der Bürgerschaft ähnlich einem Bürgerbegehren kommen müsste, könnte eine Abwahl möglich machen.

Zusätzlich stellt sich die Frage, wie es überhaupt so weit kommen konnte. Wieso glaubt jemand, er könne „übers Wasser laufen”, er könne sich alles erlauben, ohne Konsequenzen fürchten zu müssen? Dies lässt sich nur mit den damaligen Strukturen der CDU erklären. Da sie angewiesen war auf den „Stimmenfänger” Machens, war er ohne ernstzunehmende Kritiker in den eigenen Reihen. Für den Machterhalt wurde vieles getan und toleriert. Das Göttinger Landgericht hat den damaligen Kämmerer (CDU), der sich nicht an die Spendenzusage erinnern konnte oder wollte, als Opportunisten bezeichnet. Dies ist für einen leitenden Beamten unserer Stadt die schlimmste Beurteilung von Leistungsfähigkeit und Integrität, die man sich vorstellen kann. Eine inhaltliche Auseinandersetzung der CDU mit diesen Dingen hat zumindest nicht sichtbar stattgefunden; alles auf den Täter Machens abzuschieben, ohne die eigenen strukturellen Missstände anzusprechen und zu beheben, ist zu wenig.

Üblicherweise ist die Krise der Regierung die Stunde der Opposition. Aber diese hat versucht, die CDU im eigenen Saft schmoren zu lassen, um daraus politisches Kapital zu schlagen. Es wäre an ihr gewesen, einen Abwahlantrag zu stellen und das Heft in die Hand zu nehmen. Nichts von alledem war sichtbar; kraft- und ideenlos einzelne Punkte nutzend, ergab die Opposition sich in ihr Schicksal und wurde entsprechend bei der letzten Kommunalwahl abgestraft.

Wo war die Presse, die vierte Macht im Staate? Es gab keinerlei Aufklärungsjournalismus, lediglich eine meist wohlwollende Berichterstattung, die keine Bewertung geben konnte oder wollte. Bei Nicht-­Hildesheimern und Journalisten ruft dies noch heute Verwunderung hervor.

Summa summarum hat die politische Klasse an dieser Herausforderung versagt; es bleibt abzuwarten, ob die handelnden Personen in der Lage sein werden, über ihren Tellerrand hinauszuschauen und eine Situation zu schaffen, die Rat und Verwaltung wieder handlungsfähig macht. Eine Einmischung des „Mannes von der Straße” wäre aus Sicht der FDP durchaus wünschenswert und hilfreich; die Verantwortung des Wählers endet eben nicht an der Wahlurne.

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